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Stephan Balkenhol

Marion Eichmann – Cut-Outs in Paper

Ausstellungsdauer: 5. Oktober bis 19. November 2023

Alles echt, kein Fake, minutiös übersetzt, ins Zwei- oder Dreidimensionale, irritierend realistisch, bis dezent verfremdet, jedenfalls und das mit Zertifikat: aus Papier; das sind die Wunderwerke der Marion Eichmann, derzeit, zum ersten Mal, in der GALERIE NOAH zu besichtigen. Was zunächst nicht zu glauben, erst auf einen zweiten Blick wahr zu werden scheint, lässt verblüfft zurück, erstaunt, ja, fasziniert: Kann das sein, dass eine zarte Person wie diese unsere Wahl-Berliner Künstlerin sich ihre eigene Welt zurechtschustert, zimmert, genau genommen schneidet, über Monate, womöglich Jahre entwickelt, detailverliebt weiterspinnt, das Spiel um Linie und Fläche, Perspektive und Plastizität pedantisch ausreizt, bis es nicht besser geht? Ja, und es ist belegt, in zigtausend Zeichnungen, Papierschnipseln, meist hinter Glas, von weißen Kästen getragen, deren zentriertes Kunstwerk oft, im wahrsten Sinne, den Rahmen sprengt.

Eichmann, spätestens seit „Sight.Seeing.Bundestag“ im Berliner Reichstag 2022, sowie im EU-Parlament Brüssel 2023, Europa weit gefragt, schaut genau hin, fokussiert, skizziert, zeichnet, schneidet aus, klebt und rührt an, was das Zeug hält. Mit urbanen Szenarien, Architekturen, Gerätschaften, auch gesellschaftlichen Statussymbolen jeglicher Art beschäftigt sie sich bereits seit Jahrzehnten: fasziniert scheint sie von Struktur und Haptik, von Wahrnehmung, Vertiefung, Verinnerlichung, und vor allem davon, diese vielschichtige materialistische Angelegenheit in den Griff zu kriegen.

„Es reizt mich, Gegensätze, eine Form von Überforderung zu überwinden. Ich möchte Schwarz zum Leuchten bringen, den Waschsalon in New York aus Papier en Detail rekonstruieren, Absurditäten greifbar machen. Das sind meist formalästhetische Überlegungen, die intuitiv starten, später rational umgesetzt werden. Das kann sich über Monate hinziehen“, verrät Eichmann, 1974 in Essen geboren.

Nach dem Kunst-Studium an der Universität der Bildendenden Künste Berlin, einem Diplom-Studium an der Kunsthochschule Berlin Weissensee mit Meistbrief von Professor Jürgen Gotenbach, erhält sie zahlreiche Stipendien wie das DAAD, reist durch die Welt, nach Tokyo, Istanbul, New York, um erneut von Berlin aus ihre künstlerischen Fäden zu spinnen.

 

Mit ihrem „Eingestrickten Mini“ sorgt sie schon 2004 für Furore; mit Ausstellungen wie „Happy Paper“, „Schnittstelle“ oder „Iss mich“ in internationalen Galerien und Museen wie dem Architekturmuseum Moskau oder der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe macht sie schnell wie nachhaltig auf sich aufmerksam – neuere Kooperationen wie die mit Hermès Hongkong, oder der „Marion-Eichmann-Raum“ im Regierungsbezirk Berlin sind die Konsequenz.

Imposant indes ist nicht nur die technische Vorgehensweise der Marion Eichmann, sicher einzigartig weltweit. Auch die stilistische Interpretation ihrer Motive, des Porsches, des Straßenschilds, des Spielautomaten, der Wasch- oder Kaffeemaschine, des Plattenbaus am Kottbusser Tor, des Steinway-Flügels oder des florierenden bis teils welkenden Blumenstraußes treffen ins zeitgeistige Schwarze: Sie beschäftigt sich nicht mehr, wie die Urväter der US-Pop-Art Andy Warhol, Tom Wesselmann oder Roy Lichtenstein in den 1960er Jahren, mit der schönen Welt der Werbung, der medialen Vervielfältigung oder der sexistischen Reizüberflutung; nein, sie geht weiter, nimmt sich das Resultat, die in alle Schichten strömenden Nachwehen im angehenden 21. Jahrhundert vor, stellt die Sinnhaftigkeit städtischer Strukturen, Attribute in Frage, oftmals mit einem Augenzwinkern; sie lässt die Stimmung kippen, hinüber in etwas Fragiles. „Konsum war gestern – was kommt heute?“, könnte man sich fragen. Post-Pop-Art aus Papier, das ist, was Marion Eichmann macht, uns mitgibt, hinterlässt.

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