DIE KLASSE ANSELM REYLE
Ausstellungsdauer: 14.07.2022 bis 18.09.2022
Autotüren vom Schrottplatz und fliegende Döner am Firmament, blinkende Herzchen und pinkelnde Frauen, der alte Meister am Schwerlastregal und ein Kardashian-Post, fein gepinselt in Öl auf Leinwand, genau genommen made in China – wer, wenn nicht Anselm Reyle führte ein solch trashiges Arsenal an Kunst zusammen, das im historischen Kuppelsaal des Industriedenkmals Glaspalast im – noch dazu – so geschichtsträchtigen Augsburg.
Er, der weltberühmte Künstler aus Baden-Württemberg, Vertreter, ja, Erfinder, besser Fortführer einer zeitgeistigen Stilrichtung mit hohem Nachhaltigkeitswert, er hat es mit seinen Bildern, Objekten und Installationen lange schon geschafft in die größten Museen international, von den USA über Europa bis hin nach Ostasien. Auch seine Schüler sind auf dem besten Weg: Reyle reicht es nicht, allein im Atelier der Kunst zu frönen; er ist ein bekennender Teamplayer, und seit 2009 sehr gerne Professor an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste. Eine Gruppenausstellung freilich liegt da nahe; und so kommt`s zu „Die Klasse Anselm Reyle“ im Herzen der GALERIE NOAH inmitten der altehrwürdigen Fuggerstadt, zu Bratwurst mit Solarium-Sonne und Stein mit Toast und Revolver.
Anselm Reyle, 1970 in Tübingen geboren, studiert nach einer Ausbildung zum Landschaftsgärtner Kunst an den Akademien in Stuttgart und Karlsruhe, zieht bereits 1997 nach Berlin, um sich voll auf mitten hinein in den Trubel der lauten kreativen Großstadt zu stürzen, den Rhythmus der pulsierenden Metropole zu erspüren. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten: Nicht nur, dass Reyle in verhältnismäßig sehr jungen Jahren bei der größten Galerie der Welt, Gagosian in New York, unterkommt; auch die größten Museen scheinen sich um ihn zu reißen, ob die Tate Modern in London, die Deichtorhallen in Hamburg oder das Aranya Art Center in China. Selten ein Reyle ohne Retrospektive – auch dieser Tage zeigt der renommiert Kunstverein Heilbronn in der Kunsthalle Vogelmann eine riesen Schau.
Das alles scheint nachvollziehbar: trifft Anselm Reyle den Nerv der Zeit, des angehenden 21. Jahrhunderts. In Manier einer Art Postmoderne bedient er sich bewusst und nachweislich der großen Kiste vor allem der Moderne, um deren Errungenschaften quasi ins Heute zu übersetzen, weiterzuspinnen, auch in Frage zu stellen; allen voran die Abstraktion, der abstrakte Expressionismus eines Jackson Pollocks oder Barnett Newman, oder die amerikanische Minimalart, die deutsche konkrete Kunst, auch der russische Konstruktivismus. Reyle macht sich hierfür nicht unbedingt die Farbpalette von Schmincke oder Lukas zu eigen; nein, er klebt Folie auf, versprüht Lacke, lässt Neonröhren leuchten oder versieht plüschige Sitzkissen mit dem Abbild zerknüllten Cellophans. Mit Vorliebe auch im Einsatz: Fundstücke jeglicher Art. Das Ready Made eines Marcel Duchamps klingt an, drängt sich auf, die Grenze zum Design hin ist fließend, denkt man an Reyles Kooperationen mit Meissen Porzellan oder dem Hause Dior. Vielleicht womöglich könnte man ihn als postmodernen Popstar der Gegenwartskunst bezeichnen, ohne Verfechter der Pop-Art zu sein.
Chris Drange, Christian Holze, Helen Hu, Nanhee Kim, Katsuhiko Matsubara, Matthew Muir, Juno Rothaug, Xiyao Wang und Albrecht/Wilke, allesamt ehemalige Meisterschüler Anselm Reyles, treten in große Fußstapfen, nicht ohne eine gehörige Portion Freigeist wie eigenwilliger Tatendrang. Nicht gleich auf den ersten Blick ist der künstlerische Urvater zu erkennen; auf einen zweiten allemal. Frech, humorig, auch ernsthaft wird interpretiert, werden die alten Geister des 20. Jahrhunderts heraufbeschworen, allerdings zeitgemäß verpackt; gemalt wird der Instapost – im Übrigen von einer Fabrik in China –, die Bratwurst unter der Sonne eines bekannten Solariumbetreibers, nur wie gemalt wirkt der Tintenstrahldruck, installiert am windigen Regal anstatt der gediegenen Museumswand. Alles anders macht die Klasse Reyle, stellt den antikisierten Kunst-Begriff ganz schön auf den Kopf, in Frage.
Wow. Es wird Zeit.
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